Vision, ein niederländisches Meisterwerk
Das Aufbewahrungskonzept Vision wurde in den 1980er Jahren von dem Designerduo Pierre Mazairac und Karel Boonzaaijer entworfen. Sein makelloses Design, in dem sich ästhetische Schlichtheit mit technischer Handwerkskunst verbindet, nimmt einen besonderen Platz in der niederländischen Designgeschichte ein.
Pierre Mazairac und Karel Boonzaaijer wissen noch nicht, dass sie Designgeschichte schreiben werden, als sie sich Anfang der 1980er Jahre an den Zeichentisch setzen. Was sie wissen, ist, dass sie innovativ sein wollen. Es ist 1984, die Postmoderne ist auf ihrem Höhepunkt. Viele Designer lassen die strengen Regeln der Moderne hinter sich; an ihre Stelle treten Verspieltheit und Ironie. Es ist die Zeit, in der die Memphis-Designbewegung ihre Blüte hat und die Innenräume vor leuchtenden Farben, geometrischen Formen und Mustern und verschnörkelten Linien nur so strotzen. Die Frivolität dieser Bewegung provoziert bei den Designern Mazairac und Boonzaaijer, die zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahren eng zusammenarbeiten und schon mehrere Preise und Auszeichnungen erhalten haben, eine Gegenreaktion. Die beiden suchen nach einer Formensprache, die sich auf das Wesentliche zurückbesinnt, Ruhe in die Innenräume bringt und gleichzeitig die Fantasie anregt.
Als sie von der niederländischen Möbelmarke Pastoe beauftragt werden, einen Schrank zu entwerfen, beschließen sie, der Frage nachzugehen, was genau ein Schrank denn eigentlich ist. Im Grunde ist er ein Stapel aus Kisten, in denen man Dinge aufbewahrt oder versteckt, so ihr Fazit. Ein Objekt, das einem hilft, sein Leben zu organisieren. Aber ein Schrank nimmt auch Raum ein, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Er kann ein Statement sein und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Aber er kann auch noch etwas anderes bewirken, meinen Mazairac und Boonzaaijer, zum Beispiel Ruhe, Schönheit und Harmonie vermitteln. Letzteres ist das, was sie als Designer im Sinn haben. Sie betrachten den Schrank als eine Komposition, die in einen Dialog mit dem Raum und seiner Architektur tritt und den Benutzer inspiriert.

Schwebende Balance
Von der ersten Skizze an träumt das Duo von schwebenden Elementen in zahlreichen Größen, Formen und Farben. In diesem Bestreben lösen sie sich von den Standardmaßen und -proportionen, die bisher für Schränke maßgeblich waren. Mit der Einführung von 90 mm als neuen Standard brechen sie mit den herrschenden Designtraditionen und -techniken. Die Poesie der Oberflächen und Formen wird zu ihrem Leitmotiv. Auf der Suche nach der Schönheit im Minimalen lässt das Duo kein Detail zu, das den Blick ablenkt. Nicht einmal Griffe.
Und so entsteht 1985 beim Komponieren von Oberflächen und Farben Vision, das erste grifflose Aufbewahrungssystem der Welt.
Durch die auf Gehrung geschnittenen Kanten sind die Schranktüren vollständig in den Korpus eingelassen und bilden optisch eine Einheit. Doch so klar und einfach die Elemente dadurch aussehen, so komplex sind sie in der Herstellung. „Die Technik muss der Form folgen und nicht umgekehrt“: Mit diesen Worten setzten Boonzaaijer und Mazairac in der internationalen Designwelt, in der sich viele Designer damals (und auch heute noch) von der Technik leiten ließen, ein deutliches Zeichen. Bei Boonzaaijer und Mazairac ist das anders; sie stellen neue Anforderungen an die Technologie und loten deren Grenzen aus. Diese Arbeitsweise steht im Einklang mit der niederländischen Designtradition, bei der es um Funktionalität und Einfachheit geht, aber auch um Erfindungsreichtum und Innovation und darum, die Technik herauszufordern. Es sind diese Werte des niederländischen Designs, die dessen weltweiten Einfluss begründen. Das bleibt auch so, als das Dutch Design in den 1990er Jahren Einzug in die Designwelt hält – mit Möbeln und Objekten, die nicht nur minimalistisch und wunderschön gestaltet, sondern oft auch humorvoll, konzeptionell und rebellisch sind. Aber auch danach, als der Hype um das Dutch Design nachlässt und das Thema Nachhaltigkeit mehr und mehr in den Mittelpunkt rückt, verliert Vision nicht an Attraktivität. Trotz seiner Schlichtheit kommt nie Langeweile auf, und das macht die Langlebigkeit seines Designs aus.
Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass Vision Raum für die Kreativität des Benutzers lässt. Im Grunde haben Boonzaaijer und Mazairac nur die minimalistischen Basiszutaten geschaffen, mit denen sich jede gewünschte Komposition herstellen lässt. Sei es als einzelnes, frei im Raum stehendes Objekt – oder als Komposition an der Wand, die fast schon etwas Skulpturales hat. In einer fröhlichen Farbpalette oder auch in gedeckten Farben. In dieser Hinsicht ist Vision kein minimalistisches, sondern ein recht maximalistisches Konzept, das endlose Möglichkeiten bietet.


Ein junger Designklassiker
Weder bei dem Verzicht auf Griffe noch bei den Abmessungen, den Verbindungen oder den Scharnieren sind die Designer bei ihrem Entwurf Kompromisse eingegangen, die der Einfachheit und raffinierten Schönheit des Designs abträglich gewesen wären. Das verlangte damals wie heute von einem Hersteller höchste Handwerkskunst. Seit 2025 ist Vision Teil der Kollektion von Arco, einem niederländischen Familienunternehmen, das die gleiche Vision von Handwerkskunst hat wie die mittlerweile etwas älter gewordenen Herren Boonzaaijer und Mazairac. Arco hegt eine große Liebe zu zeitlosem niederländischem Design und hat alles, was es braucht, um Vision mit den heutigen Anforderungen an Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen. Und so hat Arco ein Update von Vision herausgebracht, bei der das ursprüngliche Design gewahrt bleibt. Dank dieser Aktualisierung ist Vision bereit für eine Zukunft als junger Designklassiker, der die nächsten vierzig Jahre und mehr mühelos überdauern wird.